Wenn man über Stimme schreibt, dann geht es auch darum, die Stimmen anderer zu genießen. Mein Höhepunkt in Sachen Stimmgenuss in jedem Jahr sind die Bayreuther Festspiele – auch Richard-Wagner-Festspiele genannt -, die den zehn letzten Opern Richard Wagners (1813–1883) gewidmet sind. Was den Stimmgenuss für mich ausmacht, das erfahren Sie in diesem Artikel.

 

Im Alter von zehn Jahren saß ich zum ersten Mal auf einem der 2.000 berühmt-berüchtigten hölzernen, wirklich unbequemen und engen Holzstühle im Bayreuther Festspielhaus – und ich konnte mein Glück kaum fassen!

Ich bin ja von klein auf an das spezielle Dunkel, den unverwechselbaren Duft und das „Gesamtpaket Opernhaus“ gewöhnt, doch hier im Festspielhaus war alles noch viel großartiger. Man muss diese einzigartige Akustik einmal selbst erlebt haben. Ich weiß noch, wie ich das ganz starke Empfinden hatte, dass der Klang unter meinem Stuhl hervorquillt, wie eine unglaubliche Wolke, die mich umhüllt und in den großen Raum trägt. Eben „Das Wunder von Bayreuth“.

George Bernhard Shaw schrieb über die Bayreuther Akustik: „Man spürt sofort, dass man sich in dem vollkommensten Theater der Welt befindet, was Genussfähigkeit, Resonanz und konzentrierte Aufmerksamkeit betrifft.“ Es wird behauptet, man könne Wagner nur lieben oder hassen. Aber ich habe schon viele Skeptiker erlebt, die in Bayreuth durch dieses Klangwunder zu größten Anhängern wurden. Nirgendwo auf der Welt klingt Wagners Musik so schön, so leise, so voll, so durchsichtig.

Ein Genuss, der fordert
Natürlich erfordert allein die Länge der Opern auch bei den Zuhörern eine große Kondition, vor allem bei gefühlten subtropischen 40 Grad im Zuschauerraum. Dazu kommt gutes Sitzfleisch – was auf diesen Stühlen kaum möglich ist. Es erfordert Konzentration auf manchmal unfreiwillig komische und absurde, dann wieder wunderbar weise und schöne Texte – wenn man sie denn versteht… Wobei ich froh bin, dass es hier nicht die inzwischen üblichen Übertitel gibt. Das alles ist gewaltig und durchaus manchmal auch fordernd und anstrengend, aber eben auch einfach gigantisch schön.

Ich verdanke Bayreuth die aufregendsten visuellen Theatereindrücke. Und selbst, wenn ich mit dem Bühnengeschehen auch mal nicht einverstanden bin- Stichwort „Regietheater“: ich finde den Begriff albern, weil ohne Regie gibt es kein Theater, aber die Regie sollte die Musik nicht erschlagen – schließe ich die Augen und schwebe im Musik-Himmel.

Eine große Wagneroper zu singen, zu spielen oder zu dirigieren ist Höchstleistung, die Königsklasse, und das tun hier fast immer die Besten. Ich habe einen riesigen Respekt vor der physischen und psychischen Leistung aller Beteiligten, dieser ungeheure Disziplin und Leidenschaft, die nötig ist um hier zu bestehen. Aber vor allem trifft mich die Musik oft mitten ins Herz. Gute Musik muss mich berühren, und das tut Wagner, immer.

Isolde und Brünhilde – Traumrollen meiner Kindheit
Mein Vater, selbst Opernregisseur, war Assistent vom Festspielleiter Wolfgang Wagner und er nahm wie alle Mitarbeiter dort die ganze Familie mit. Ohne Wagner-Zitate wäre unsere Familien-Konversation gar nicht denkbar gewesen. So bin ich mit Wagner und Bayreuth groß geworden, kann die meisten Opern im Schlaf mitsingen und wollte natürlich selbst irgendwann als Isolde oder Brünhilde auf der Bühne stehen. Auch wenn es dazu nicht kam – aber ich habe immerhin sechs Jahre in diesem weltbesten Festspielchor mitgesungen -, ein Sommer ohne Bayreuth ist ein unvollkommener Sommer!

Vor allem liebe ich es auch, dass es in Bayreuth außer bei der Premiere keinen Rummel, kein Sehen und Gesehen werden gibt, sondern nur Menschen, die mit viel Mühe und Geduld eine Karte ergattert haben und sich meistens mit großem Sachverstand auf das „Gesamtkunstwerk“ einlassen. Und das ist das mein Wunder von Bayreuth.

Haben Sie einen musikalischen Höhepunkt, den Sie jedes Jahr genießen?